Freie Presse, Chemnitzer Sport vom 18.07.15

Wenn aus Kontrahenten eine Eishockey-Großfamilie wird

Die sechs Kinder des Ehepaares Emsel können es kaum erwarten, dass die Saisonvorbereitung beginnt. Sie alle spielen beim ESV Chemnitz. Ihre Eltern lernten sich kennen, als zwei der Kinder gegeneinander antraten.

Beim Eishockey laufen fünf Feldspieler und ein Torwart auf. Familie Emsel aus Chemnitz könnte mit eigenem Personal ein Team auf die Beine stellen. Alle sechs Kinder spielen im Küchwald beim Eissportverein 03. Der Jüngste, Samuel, ist Torhüter. Seine zwei Brüder und drei Schwestern jagen als Feldspieler dem Puck hinterher. Die Sommerzeit bedeutet für das Sextett, eine Zwangspause einzulegen. Und das fällt schwer. "Sie werden schon unruhig, können kaum erwarten, dass die Saisonvorbereitung losgeht", berichtet Mutter Dana Emsel.

Sie war vor knapp einem Jahr aus Leipzig nach Chemnitz zu ihrem neuen Partner gezogen. Beide brachten drei Eishockeybegeisterte Kinder mit in die Beziehung. "Kennengelernt haben wir uns während eines Spiels in der Küchwald-Halle, als unsere Söhne Martin und Jesajah gegeneinander angetreten sind", berichtet Jens Emsel. Der 50-Jährige hat selbst eine Eishockey-Vergangenheit. "Ich bin in Tschechien groß geworden, wo mein Vater als Außenhandelsvertreter gearbeitet hat", erzählt Emsel. Da Eishockey im Nachbarland Nationalsport ist, habe auch er sich einem Verein angeschlossen. "Mit Beginn der 6. Klasse war jedoch Schluss damit. Wir sind in die DDR zurückgekehrt, und hier in der Stadt gab es keine Möglichkeit, weiter zu spielen", sagt der gebürtige Karl-Marx-Städter.

Jetzt nimmt er mit seiner Frau reichlich Stress auf sich, damit die sechs Sprösslinge ihrem liebsten Hobby nachgehen können. Während der Saison wird mitunter fünfmal in der Woche vom Luther-Viertel, wo die Patchwork-Familie wohnt, in den Küchwald zum Training gefahren. Der Verein hat dafür einen Kleinbus zu günstigen Konditionen an die Familie verkauft. Chauffeur ist der Vater. "Dabei müssen alle Opfer bringen, denn hin- und zurückgefahren wird pro Tag nur einmal", sagt Mutter Dana. Das bringt Wartezeiten mit sich, weil die Emsel-Kinder zwischen 6 und 14 Jahre alt sind und dementsprechend unterschiedliche Trainingszeiten haben.

Vollen Einsatz verlangen auch die Wochenenden während der Wettkampf-Zeit. "Dann heißt es des Öfteren, früh um 4 Uhr aufzustehen, weil Turniere in Berlin oder Ilme- nau anstehen", berichtet Jens Emsel, der Forstwirt von Beruf ist. Um die Eishockey-Aktivitäten der sechs Sprösslinge unter einen Hut zu bekommen, müssen er und seine Frau reichlich Organisationstalent beweisen und flexibel sein. "Denn manchmal verschiebt sich ein Termin auch kurzfristig." Trotz der großen familiären Herausforderungen steht für Jens Emsel fest: "Wir kriegen das hin. Und schließlich hätte es schlimmer kommen können, zum Beispiel, wenn die Kinder verschiedene Sportarten ausüben würden."

Mit dem Umfeld im Verein ESV 03 und im Chemnitzer Eisstadion sind die Emsels zufrieden. "Es ist besser als vorher bei uns in Leipzig", betont Dana Emsel. Ihre Tochter Mira spielt bereits seit neun Jahren Eishockey. "Für mich war es im vorigen Jahr erst mal ein Schock, nach Chemnitz zu ziehen. Ich dachte, dass ich hier die Schlechteste bin", erzählt die 13-Jährige. Doch dem war nicht so, konnte sie bald feststellen. Mira gehört zum U-14-Team des ESV, wo sie wie ihre aus Chemnitz stammende Schwester Sarah mit Jungs zusammenspielt. "Nicht alle akzeptieren uns als Mädchen. Diejenigen lassen wir links liegen", bemerkt Sarah. Die 14-Jährige frönt dem Eishockey seit drei Jahren. Dazu gekommen sei sie durch ihre Brüder Jesaja und Samuel. "Ich dachte zunächst: Was ist das denn für eine extreme Sportart?", berichtet Sarah. Ihr Eindruck war, dass Eishockey doch ziemlich brutal ist. "Dann habe ich es selbst probiert, und mir hat es gleich gefallen", fügt die Chemnitzerin hinzu. Daran änderte im Übrigen auch der letzte Platz mit der U-14-Mannschaft in der ostdeutschen Meisterschaft nichts.

Bei der Frage, wer von den Emsel-Kindern am talentiertesten ist, fällt zumeist der Name Martin. Der Elfjährige gehört zur "Leipziger Fraktion". Schon mit drei Jahren habe er mit Eishockey angefangen. In der Vorsaison bestritt er beim ESV Chemnitz 03 ein doppeltes Pensum: Entsprechend seines Alters lief er für die U-12-Mannschaft auf, half aber auch im Team seiner größeren Schwestern aus, "weil es dort zu wenig Spieler gab".

Jetzt freuen sich Martin und seine fünf Geschwister auf die neue Saison, die erneut kein preiswertes Vergnügen für Familie Emsel wird. "Der Verein stellt die Trainingstrikots. Wir als Eltern finanzieren die Ausrüstungen von den Schlittschuhen bis zu den Helmen", so der Vater. Zugunsten des Eishockeysports verzichte die Familie auf vieles. "An eine Urlaubsreise ist zum Beispiel nicht zu denken", sagt Jens Emsel.

Mario Schmidt, Freie Presse